Wenn die Götter ihre Tage haben (Teil I) - von Hyazinth (Zintus) Sievering, 03.12.2011 |
Wenn die Götter ihre Tage haben (Teil I)
von Hyazinth (Zintus) Sievering
Sprache ist nicht etwas Statisches, Unveränderliches. Sie ist kein
Bauwerk aus Beton, sondern ein Werkzeug der Menschen, die sie benutzen. Die Menschen
bedienen sich der Sprache, um ihre Gefühle zu äußern. Sprache transportiert Freude,
Angst, Trauer, Erleichterung, Schadenfreude, Liebe, Hass und viele andere Gefühle. Sie
wird benutzt um die Funktion eines Computers, den Organismus des Menschen und die im
Weltall wirkenden Kräfte zu beschreiben. Man benutzt sie um Kochrezepte, Ideologien,
Wertpapiere und Politiker auszutauschen. Liebeslieder, Protestgesänge, Kleinanzeigen und
Bauanleitungen für Atombomben sind Äußerungen des Phänomens Sprache.
Wir sehen, dass Sprache immer etwas mit Austausch zu tun hat. Mit dem Verkehr von Menschen
untereinander. Diese Menschen sind alle verschieden und verschieden ist auch ihre Sprache.
Nicht nur werden in verschiedenen Ländern verschiedene Sprachen gesprochen - ich möchte
fast sagen, dass es auf der Welt keine zwei Menschen gibt, deren Sprachgebrauch völlig
identisch ist. Auch Menschen mit der gleichen Muttersprache werden sich niemals ganz
gleich ausdrücken. Jeder hat seine Lieblingsbegriffe, seinen Schnack, seine
Redensarten und Ausdrucksweisen.
Bei all diesem Austausch lässt es sich kaum vermeiden, dass jede Sprache einer ständigen
Veränderung unterworfen ist. Gründe dafür gibt es viele. Für neue, bisher unbekannte
Dinge werden Begriffe aus der Kultur übernommen, die diese Dinge propagiert. Das
bekannteste Beispiel dürfte das Internet sein, dessen Ursprünge auf den Datenaustausch
zwischen amerikanischen Universitäten und Forschungsinstituten zurückgehen. Es wird auf
der Welt wohl kaum eine Sprache geben, in der das weltweite Datennetz nicht Internet
genannt wird, eine Abkürzung aus dem englischen Interconnected Networks, also
"untereinander verbundene Netzwerke".
Manchmal werden jedoch auch Begriffe für bereits bekannte Dinge ersetzt durch Wörter aus
einer anderen Sprache. Man denke nur an das Wort Shopping Mall, das im Deutschen
zunehmend als Synonym für Einkaufszentrum gebraucht wird. Es scheint, als ob viele
Menschen es schick finden, vertraute Dinge mit einem neuen, meist aus dem Englischen
stammenden Begriff zu versehen. Durchweg entstammen diese neuen Begriffe Sprachen, mit
denen Fortschritt, Modernität und Prestige verbunden wird. Shopping Mall klingt
cooler (!) als Einkaufszentrum, glaubt man.
Auch unsere eigene Sprache, das Plattdeutsche, ist zahlreichen Einflüssen unterworfen.
Viele heimische Begriffe wurden, vor allem in den letzten Jahrzehnten, gegen andere
ausgetauscht. Fast durchweg entstammen diese neuen Begriffe für Altbekanntes dem
Hochdeutschen. In den sechziger und siebziger Jahren schien es plötzlich nicht mehr dem
Zeitgeist zu entsprechen, unsere hier im Nordwesten heimische Sprache zu verwenden.
Hochdeutsch hatte einfach mehr Prestige und Eltern wurden dazu angehalten, das
Plattdeutsche möglichst von ihren Kindern fernzuhalten.
Aber auch die ältere Generation fühlte diesen Prestigeverlust und mehr oder weniger
bewusst wurden und werden bis heute zahlreiche Begriffe gegen hochdeutsche ausgetauscht.
Oft wird auch eine an das Hochdeutsche angelehnte Übersetzung ins Plattdeutsche
verwendet. Als anschauliches Beispiel sollte der geneigte Leser vielleicht mal versuchen,
den folgenden hochdeutschen Satz für sich ins Plattdeutsche zu übersetzen:
"Er will am Mittwoch mit mir Angeln gehen, hat er mir versprochen."
Nun, die meisten Leser werden denken: "Ist doch nichts besonderes dabei", und
wie folgt übersetzen:
"He will Middewäke mit mi hengaohn to fisken, heff he mi versproken."
Dies entspricht dem Sprachgebrauch eines Großteils meiner Generation, also der in den
sechziger oder siebziger Jahren Geborenen. Auch viele Ältere haben sich dem angepasst und
übernehmen die 'neuere' Ausdrucksweise. Doch lassen wir eine andere Generation zu Wort
kommen und uns die korrekte plattdeutsche Übersetzung des Beispielsatzes ansehen:
"He will Gaunsdag mit mi hengaohn to fisken, heff he mi belaogt."
Zunächst fällt uns der Gaunsdag ins Auge. Ein, zumindest in Wippinger
Sprachgebrauch, mittlerweile sehr seltenes Wort. So fremd es uns auch anmutet, noch vor
fünfzig Jahren war Gaunsdag bei uns die übliche Bezeichnung für den Mittwoch.
Ein Name, der uns einiges über die Geschichte Europas verrät.
Die siebentägige Woche geht zurück auf die Ägypter und die Babylonier, die einen
Mondumlauf in vier Phasen zu sieben Tagen unterteilten. Auch in der jüdischen Tora und
somit auch unserem alten Testament findet die siebentägige Woche ihren Niederschlag. Die
Griechen und später die Römer übernahmen diese Einteilung und versahen die Tage der
Woche mit den Namen der sieben hellsten Himmelskörper, die gleichzeitig ihre Gottheiten
darstellten. Neben Sonne und Mond waren das die fünf mit bloßem Auge sichtbaren
Planeten. Der Tag, der im Hochdeutschen die Woche teilt, war dem römischen Gott Merkur
geweiht, lat. Dies Mercurii.
Als sich das Römische Reich schließlich bis an den Rhein ausgebreitet hatte, fanden
zahlreiche lateinische Worte ihren Weg in die germanische Sprache unserer Vorfahren. Nicht
nur in den römisch besetzten Gebieten lernten die Germanen zahlreiche Erfindungen und
kulturelle Dinge der Römer kennen. Auch bei uns in Norddeutschland, dem sogenannten
"freien Germanien" gab es regelmäßige Kontakte zwischen Römern und Germanen,
wodurch zahlreiche neue Begriffe in die Sprache unserer Vorfahren übernommen wurden. So
wurde beispielsweise ein Fenster von unseren Vorfahren früher Windauge genannt.
Am Namen erkennt man schon, dass es damals noch keine Glasscheibe besaß sondern einfach
nur eine mit Fensterläden verschließbare Öffnung darstellte. Nachdem die Germanen die
Herstellung von Glas von den Römern erlernt hatten und die Öffnung in der Hauswand mit
einer durchsichtigen Scheibe versahen, nannte man es bei uns Fenster, nach dem
lateinischen fenestra. In England hat man den alten germanischen Namen
beibehalten: window.
Der Tag des Merkur bekam bei unseren Vorfahren den Namen einer germanischen Gottheit, die
in etwa dem Merkur entsprach: Wodan. Der Mittwoch hieß also zu vorchristlichen Zeiten im
germanischen Sprachraum Wodanstag.
Mit der einige Jahrhunderte später einsetzenden Christianisierung der germanischen
Stämme im heutigen Mittel- und Westeuropa versuchten die Missionare, die Erinnerung an
die alten heidnischen Gottheiten auszulöschen und alternative Bezeichnungen für die
Wochentage einzuführen. Wie man sieht, ist dies im Hochdeutschen nur teilweise gelungen.
Der Wodanstag wurde durch den Mittwoch ersetzt und der Tag des Saturn durch den Samstag.
Jacob Grimm schreibt in seiner Deutschen Mythologie: "Wie hätten jemals die
Bekehrer gelitten (hier: gelitten = zugelassen), dass verhasste Namen der Abgötter den
Neubekehrten zum täglichen Gebrauch überliefert würden, wären sie nicht schon längst
unter dem Volk hergebracht gewesen."
Bei der Annahme des Christentums müssen die Namen der Wochentage also schon seit
Jahrhunderten eingebürgert gewesen sein. Grimm vermutet, dass die Einführung der
Wochentagsnamen im vierten bis fünften Jahrhundert stattfand.
Während sich im Hochdeutschen die von den Geistlichen propagierte Bezeichnung Mittwoch
durchsetzte, behielt man in unserem heimischen Plattdeutsch alle germanischen Namen bei,
eben auch den Wodanstag in der Form Gaunsdag. Erst in den vergangenen fünf oder
sechs Jahrzehnten wurde dieser Name bei uns mehr und mehr durch die Lehnübersetzung aus
dem Hochdeutschen ersetzt: Middeweke. Dachte man möglicherweise, dass Gaunsdag
"zu platt" klingt? Die Menschen, die diese Entwicklung mitgemacht haben, leben
noch. Ob sie eine Antwort auf diese Frage haben? Heutzutage kann es jedenfalls nicht platt
genug klingen.
Während unsere Nachbarländer in Nord- und Westeuropa weiterhin den Wednesday
(engl.), Woensdag (niederl.) oder den Onsdag (schwed.) pflegen, scheint
unser Plattdeutsch heute, mit 1200-jähriger Verspätung, doch noch ein Stück dieses
gemeinsamen Erbes aufgeben zu müssen. Es bleibt nur zu hoffen, dass die Erinnerung an
solches Kulturgut in unserer plattdeutschen Sprache nicht komplett aufgegeben wird und
zumindest dem Tag des römischen Saturn, dem Saterdag oder Saoterdag
(engl. Saturday) dieses Schicksal erspart bleibt.
(Fortsetzung folgt)
03.12.2011